REINHARDSTRASSE

Reinhardstraße

59174 Kamen

Grunddaten

Datierung: 1889
Material: Backstein, Holz
Erbauer: Betreiber der Zeche Königsborn (Gewerkschaft Königsborn)

„Das ist ja ein ganzes Dorf“, soll der damalige Pfarrer Stapenhorst erschrocken ausgerufen haben, als er 1889 vom Plan der Betreiber der Zeche Königsborn erfuhr, für 730 Neubürger Wohnungen zu schaffen. Das Kirchspiel Heeren (Heeren und Werve zusammengefasst) hatte im Jahr 1885 (vor der Zechenansiedlung) 862 Einwohner.  Im Jahr 1905 betrug die Einwohnerzahl 3952. Dieser Vergleich macht deutlich, welch große Notwendigkeit zum Wohnungsbau in dieser Zeit bestand.

Nachdem zuvor südlich und nördlich des Zechengeländes, an der heutigen Widey- und Luisenstraße und an der Heinrichstraße („alte Tüte“), Wohnungen entstanden waren, sollte nun auf dem „Knapp“ das Siedlungsprojekt „Neue Tüte“, die heutige Reinhardstraße, für die erwarteten Neubürger erstellt werden. Mit dem Vorhaben wurde unmittelbar begonnen. Aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar ist der damalige Streit, ob die neue Siedlung innerhalb oder außerhalb der Ortslage Heeren liege, denn dies löste finanzielle Leistungen aus.

Die Siedlung bestand zu großen Teilen aus ein- bis zweieinhalbgeschossigen Reihenhäusern mit sechs bis acht Eingängen. In jedem Eingang mussten sich oftmals zwei Familien die vorhandenen vier Zimmer teilen. Die Wohnungen waren nicht elektrifiziert und hatten weder Wasseranschluss noch Abflusssysteme. Die vorhandenen Plumpsklosetts waren in den hinter den Häusern liegenden Ställen gemeinsam mit der Schweinehaltung untergebracht. Es waren primitive Einrichtungen mit offenen Jauchegruben – geruchsbelästigend und unhygienisch. Wasserleitungen waren zwar gelegt, Gebrauchswasser musste jedoch von gemeinsam genutzten Zapfstellen entnommen werden, welche jeweils an den Hausenden eingerichtet waren. Das entstandene Abwasser wurde über offene Abwassergräben in den Stallgassen abgeleitet.

Die Ansprüche der Bewohner waren bescheiden. Hauptsache man war in vier Wänden und hatte ein Dach über dem Kopf. Erst mit Beginn der 1920-er Jahre erhielten die Wohnungen einen separaten Wasseranschluss und elektrisches Licht. Das Abwasser wurde nun unterirdisch abgeleitet. Danach wurden die Wohnungen weiter genutzt und abgewohnt. Es gab keine maßgeblichen Veränderungen.

Erst in den 1970-er Jahren war der Veränderungsstau so groß geworden, dass es politische Initiativen zur Einleitung von Sanierungsmaßnahmen gab. Diese wurden 1975 begonnen und zur Abwicklung an die „Neue Heimat“ übertragen. Wegen der guten Bausubstanz hatte man sich gegen eine Flächensanierung entschieden, was den Abriss aller Häuser nach sich gezogen hätte. Man entschloss sich zu einer Objektsanierung mit der einhergehenden Privatisierung der Häuser. Die Eingänge zu den Wohnungen wurden zu großen Teilen zur Straßenseite verlegt, die Stallungen wurden abgerissen, sodass die Stallgasse verschwand. An der Südseite der Reinhardstraße wurden zwei lange Wohngebäude abgerissen und damit die Verbindung zur Märkischen Straße unterbrochen. Dies ermöglichte die Einrichtung eines Stadtteilzentrums mit kleinen Geschäften und Filialen von Sparkasse und Volksbank.

Von Süden her war nun die Zufahrt von der Westfälischen Straße möglich.

Der Charakter einer Bergmannssiedlung blieb erhalten. Die Straßengemeinschaft und Nachbarschaft zeichnet sich durch enge und freundschaftliche Verbindungen aus. Dies ist auch immer wieder erkennbar an den gemeinschaftlich ausgeführten Straßenfesten.

Text: Friedhelm Lipinski

Literatur

Zygmunt, Josef: Die Zeit danach. Versuch einer geschichtlichen Darstellung der Entwicklung der Gemeinde Heeren-Werve nach 1945, Unna 1981.
Zygmunt, Josef: Frühe Jahre der Gemeinde Heeren-Werve 1871 – 1945, Beschreibung am Beispiel der Zeche Königsborn II/V, Kamen 1985.
Stoltefuß, Karl-Heinz: Heeren-Werve. Landschaft-Siedlung-Bauern-Adel. Ein Beitrag zur Ortsgeschichte der Gemeinde Heeren-Werve, Kamen 2014.
Stoltefuß, Karl-Heinz: Heeren-Werve. Die Geschichte eines Hellweg-Kirchspiels, Kamen 2000.

Schon gewusst?

Die Lore in der Reinhardstraße wurde von den Anwohnern der Reinhardstraße 1982 eingerichtet, aufgestellt und wird regelmäßig gepflegt.

Bildunterschrift und Fotonachweis: Reinhardstraße, Foto: Friedhelm Lipinski

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Reinhardstraße
Reinhardstraße 18
Kamen 59174
Deutschland