HANS-BÖCKLER-SIEDLUNG
Grunddaten
Datierung: 1950–1952
Material: Stein, Holz
Erbauer: Treuhandstelle für Bergmannssiedlungen
Die politische Gemeinde Heeren-Werve sah sich nach ihren konstituierenden Maßnahmen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vor besondere Aufgaben gestellt. Die vorliegenden Probleme beschreibt ein Artikel des Hellweger Anzeiger vom 10. Dezember 1949:
„Die große Wohnungsnot – ein brennendes Problem der Nachkriegszeit – hat auch in Heeren-Werve äußerst beengte Wohnverhältnisse entstehen lassen. Wenn auch durch Bomben und Artilleriebeschuss keine bedeutenden Wohnflächen zerstört worden sind, so hat doch der überaus starke Flüchtlings- und Evakuierungsstrom eine fast katastrophale Lage geschaffen. Die Bevölkerungszahl in der Gemeinde hat sich etwa um ein Drittel erhöht. Die Zahl belief sich vor dem Kriege auf knapp 5.000, während heute 7.000 Menschen hier wohnen müssen. Augenblicklich werden noch 200 Familien in der Liste der Wohnungssuchenden geführt, von denen 10 Familien überhaupt keine Wohnung haben, sondern in Notunterkünften beherbergt werden. 29 Familien hocken noch mit 4 bis 5 Personen auf nur einem Zimmer. 157 Familien sind mit 6 bis 8 Personen in kleinen 2-Zimmerwohnungen untergebracht. Dazu kommen die Wohnungssuchenden von der Zeche I/ll, die dort geführt werden.“
Eine rasante Entwicklung setzte in der Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg ein, als die Nachfrage nach Steinkohlen enorm anstieg und Heimatvertriebene und Neubergleute untergebracht werden mussten. Im Vordergrund stand hier zunächst der staatlich geförderte Mietwohnungsbau. Die besondere Notlage ließ keine Zeit für architektonische Glanzleistungen. Man verfiel zunächst wieder in die Einfallslosigkeit der Gründerjahre. In Heeren wurde wenig später die etwa 10 ha große, als Gartenland genutzte Ackerfläche zwischen Heeren und Ostheeren, Standort einer großen Siedlung, die ihren Namen nach dem populären Gewerkschaftsführer Hans Böckler erhielt. Auch hier fehlten besondere städtebauliche Akzente, Uniformität herrschte vor. Allerdings wurden durch den großzügigen Zuschnitt der Gärten Flächen geschaffen, die heute für das innerörtliche Klima und die Ökologie besonders wertvoll sind. Es entstanden Mehrfamilien- und Reihenwohnhäuser mit über 200 Wohneinheiten, welche allerdings keine besonderen Einrichtungen besaßen. In den meisten Wohnungen gab es lediglich ein WC. Der sprichwörtliche wöchentliche Badetag wurde in der Waschküche mit Hilfe der sogenannten Volksbadewanne aus Zinkblech ausgeführt. Das dazu erforderliche Wasser wurde im Waschkessel erhitzt.
Einrichtung und Umbau von sanitären Einrichtungen und Küchen wurden von den Mietern in Eigenarbeit durchgeführt. In vielen Wohnungen wurden Zentralheizungen, ebenfalls durch die Mieter, eingebaut und damit der Wert der Wohnungen gesteigert.
Im Jahre 2007 wurde bekannt, dass die THS den Bestand der Hans-Böckler-Siedlung privatisieren wolle. Daraufhin erlies die Stadt Kamen eine Gestaltungssatzung für den Bereich der Siedlung.
Um die historisch gewachsene städtebaulich und geschichtlich bedeutsame Bebauungsstruktur der Bergarbeitersiedlung auch nach der bevorstehenden Privatisierung zu erhalten, wurde von der Stadt Kamen im Jahre 2009 ein Bebauungsplan aufgestellt. Ergänzend wurde die vorliegende Gestaltungssatzung als Ortsrecht aufgestellt. Durch die Festsetzungen der Satzung, die sich auf wesentliche charakteristische und städtebaulich relevante Gestaltungsmerkmale beschränkt, wurde der ursprüngliche und homogene Siedlungscharakter und das äußere Erscheinungsbild gesichert. Den zukünftigen Eigentümern soll genügend Raum verbleiben, die Häuser modernen und zeitgemäßen Wohnbedürfnissen anzupassen.
Im Jahr 2023 wurde die Gestaltungssatzung von 2007 geändert, um den Umgang der bei den Umbauten notwendigen energietechnischen Anpassungen, wie Wärmedämmung und die Anlage von solartechnischer Energiegewinnung, zu ermöglichen, ohne die geschichtlich entstandene charakteristische Siedlungsstruktur zu gefährden.
Text: Friedhelm Lipinski
Literatur
Stoltefuß, Karl-Heinz: Heeren-Werve wie es früher war. Band 1 und 2, Kamen 2004 und 2009.
Stoltefuß, Karl-Heinz: Heeren-Werve. Landschaft – Siedlung – Bauern – Adel, Kamen 2014.
Zygmunt, Josef: Die Zeit danach. Versuch einer geschichtlichen Darstellung der Entwicklung in der Gemeinde Heeren-Werve nach 1945 unter Berücksichtigung des SPD-Ortsvereins und der Ortsgruppe der IG-Bergbau, Unna 1981
Stadt Kamen: Sitzungsunterlagen zur Sitzung des Planungs- und Umweltausschusses vom 27.08.2007.
Stadt Kamen: Satzungsbeschluss vom 29.04.2009.
Stadt Kamen: Sitzungsunterlagen zur Sitzung des Stadtrates vom 16.08.2023
Schon gewusst?
Hans Böckler (1875–1951) begann sein Arbeitsleben mit einer Lehre als Gold- und Silberschläger und engagierte sich früh in der Arbeiterbewegung. 1894 trat er dem Deutschen Metallarbeiterverband und der SPD bei. 1928 wurde er in den Reichstag gewählt. Während der NS-Zeit unterhielt er Kontakte zum Widerstandskreis um Wilhelm Leuschner. Zwei Jahre nach Kriegsende wurde Böckler auf dem Gründungskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes in der britischen Besatzungszone zum ersten DGB-Vorsitzenden gewählt.
Am 25. Januar 1951, drei Wochen vor seinem Tod, gelang es ihm in einem Spitzengespräch mit dem damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer, die paritätische Mitbestimmung in der Montanindustrie durchzusetzen. Hans Böckler hat sein Leben lang für die Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit gekämpft – ein Anliegen, dem die Hans-Böckler-Stiftung bis heute verpflichtet ist.
(Text Hans-Böckler-Stiftung)
Bildunterschrift und Fotonachweis: Weidenweg in nördlicher Richtung, Foto: Friedhelm Lipinski, Eigenaufnahme
Kamen 59174
Deutschland